Ein Vertrag zu beiderseitigem Nutzen

Liebe Gemeinde, 
habt ihr euch heute Morgen schon Sorgen gemacht? Ich hoffe nicht. Hoffentlich habt ihr euch gefreut – über einen freien Tag, die Gemeinschaft hier, die Möglichkeit in aller Ruhe zusammenzukommen, so wie wir alle nun mal sind. Haben wir nicht auch gerade gehört von Jesus, dass wir uns keine Sorgen machen sollen?  – Muss vielleicht wer von euch jetzt gerade schnaufen? So im Blick auf die Welt, auf sich selbst – oder auf das, was ab morgen wieder ansteht?
Da seid ihr nicht allein! Und auch, wenn ihr zufrieden seid, mit dem was heute oder in der letzten Woche so alles über die Bühne gegangen ist – was geklappt hat und euch erfreut hat.

Woher kommt das? Woher kommt uns das Gefühl, ich sollte mir mal Sorgen machen – oder eben auch nicht, ich sollte mal Danke sagen für das, was in meinem Leben einfach so passt, gelingt?Das kommt nur, wenn wir weiter sehen als auf unsere eigenen Schuhspitzen. Und nicht nur im optischen Sinn.

Denn «Sorgen machen» bedeutet ja auch, sich kümmern – ein Auge haben auf Menschen oder Zusammenhänge, die uns unbedingt angehen. Und wir stehen genau so im Fokus – sind der zu hütende Augapfel eines anderen Menschen – jemand, der an uns denkt und uns wohl will. Und der, der uns unbedingt angeht, auch im doppelten Wortsinne, das ist natürlich Gott, der Herr, Jesus Christus, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der hat uns immer im Blick – und glaubt es, in einem wohlwollenden Blick. Das kann in Vergessenheit geraten, «weiß Gott». Ja weiß er. Und mit dieser «Vergesslichkeit» stehen wir nicht allein da.

I. Vertrag – Glauben als Versicherung gegen Sorgen?

Nur, wenn wir allein da stehen – dann machen wir uns Sorgen. Aber wir sind ja gar nicht allein! – Und, falls euch das tröstet, auch biblische Berühmtheiten haben manchmal so Schübe von Gott- und Selbstvergessenheit. – Hier ein Beispiel:#

II. Der Predigttext – Gen 15,1-6

1 Nach jenen Ereignissen kam das Wort des Herrn zu Awram, in einer Vision, wie folgt: «Fürchte dich nicht, Awram, ich bin ein Schild für dich. Dein Ertrag/Deine Belohnung wird sehr groß sein.»
2 Da sagte Awram (und jetzt kommt der Schnaufer!): «Mein Herr, Herr, was willst du mir geben, seit ich (wo ich doch) kinderlos am Wandeln bin? Denn der Erbe meines Hauses ist Eliezer aus Damaskus.
3 Weiter sagte Awram: «Siehe, du hast mir keine Nachkommen gegeben und ja, tatsächlich nicht einmal einen Sohn, den Erbenden meines Hauses.»
4 Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm wie folgt: «Nicht dieser hier soll dein Erbe sein, sondern viel mehr einer, der von deinem Leib kommen wird, der soll dein Erbe sein.»
5 Und da brachte er ihn nach draußen und sprach: «Schau nun die Himmel! Und zähle die Sterne – wenn (falls) du fähig bist, sie zu zählen! Und er sagte ihm: Genauso soll es sein mit deinen Nachkommen!»
Und Awram?
6 Und er vertraute/glaubte in/auf/an den Herrn und er rechnete an/hielt zugute – ihm – die Gerechtigkeit.
Amen.

III. Gerechtfertigte Sorgen

Ihr Lieben, ich möchte dringend sagen, dass es ein Unterschied ist, ob wir uns Sorgen machen, so wie wir uns morgens ein Brot schmieren, oder ob wir uns Sorgen machen, weil ein akuter Anlass oder Zustand Grund der Sorge ist.
Es gibt eine Sorge, die sich selbst und uns abnutzt, ausquetscht, fertig macht. Auch unseren Blick trübt. Das ist die Sorge, die kein Gegenüber hat. Die Tag und Nacht am Werk ist. Ungestört.
In der Situation, in der Awram gerade steckt, ist es genau diese Abnutzungssorge, die ihn quält. Diese Sorge hat eben kein Gegenüber, es ist die endlos wiederholte Schleife des «Was soll nur werden?». Awram könnte gedacht haben: Was soll nur werden, ich alter Mann, ohne Nachkommen, wer wird sich um alles kümmern? Die Frau, die Viehherden, die Angestellten! Und wird alles schwinden und vergehen, wenn ich nicht mehr bin? Und vielleicht stellt er dann noch die Frage, «wozu das alles?»
Wie gesagt, es sind eher Selbstgespräche, die er da führt. Quälende Selbstgespräche. In einer Vision, einem Traum. Und gleich ändert sich das Bild: es kommt nämlich sein Gegenüber, der, der auf ihn Acht hat, der ihn im Blick hat und der seine Sorgen schon kennt: es ist Gott selbst, der verspricht, dem Awram Schutzschild zu sein – gegen sich selbst. Gegen seine Blindheit – Gott selbst kommt zu ihm und legt ihm ins Herz:
Ich bin dein Schutz und deine Belohnung wird groß sein.

Awram, gefangen in seinem Fragenkarusell, erkennt zwar sein Gegenüber dem Namen nach – aber das löst nichts aus. Hat nicht dieser Name ihn auf den Weg gebracht, von einem Land ins nächste, dabei vor fremden Mächten bewahrt – grad zuvor die Geschichte mit Melchisedek, eine friedliche, ökumenische Reisebegegnung, die «weiß Gott» schlimmer hätte ausgehen können? Was ist da los, Awram? Der Herr Gott verspricht dir, dein Schutzschild zu sein plus einer Belohnung– das sollte Hochgefühle auslösen. Sollte. Könnte…
Awram formuliert sein Ansinnen, trübsinnig, ach du, was willst du, war ja bislang soweit in Ordnung, aber… Was soll das Gerede mit Lohn oder Belohnung, ich hab ja nicht mal einen Nachkommen. Was willst du, 3 Kapitel zuvor hast du mir versprochen, dass du mich zum Stammvater eines großen Volkes machen willst – es wird mal langsam Zeit!
Awrams Vertrauen ist erschüttert. Gott, der große Versprecher, hat sich wohl versprochen. Ich bin auf einen Schaumschläger hereingefallen. Er hat mich vergessen.
Hier, in diesem leeren Moment zwischen zwei Versen (die ich jetzt mit meinen Worten gefüllt habe) – spüre ich eine entsetzliche Leere, die Leere, die Awram im Herzen hat. Kein Mensch und kein Gott ist in seinem Herzen, es ist leer. Alles Vertrauen aufgebraucht. Was soll nur werden? Es gibt keinen Sohn, ein Angestellter wird erben; guter Mann, aber eben nicht aus dem eigenen Haus.

IV. Jetzt aber!

Und jetzt kommt dieser für mich anrührende Moment, der im Neuen Testament so heißt: Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb. Genau das passiert hier: Der Vater unseres Herrn Jesus Christus sieht den Awram an und setzt noch einmal nach: er wiederholt die Verheißung, er verwirft Awrams Idee, dem Eliezer aus Damaskus alles übergeben zu müssen. Gott sagt ihm, nein, der ist es nicht, sondern es wird der sein, der von dir selbst, von deinem Leib, abstammen wird.
Ob Awram jetzt den Kopf hebt? Ob er genau hinhört, mit den Ohren und mit dem Herzen? Das steht da nicht. Und auch Gott weiß es wohl in diesem Moment nicht, sicherheitshalber setzt er noch ein zweites Mal nach: er fordert Awram auf, sein Schneckenhaus aus Selbstquälerei zu verlassen und endlich, endlich weiter als bis auf seine eigenen Schuhspitzen zu sehen.

V. Es ist mehr, als du jetzt siehst oder glaubst!

Der Herr selbst bringt Awram nach draußen, holt ihn raus, stellt ihn auf die Füße und fordert ihn auf, in den Himmel zu sehen. Und damit noch nicht genug – beinahe keck fordert er dann Awram heraus, er möge doch die Sterne zählen, falls er dazu in der Lage wäre. Provoziert Gott den Awram? Stellt er eine rhetorische Frage? Oder demonstriert er hier ohne Drohung seine Stärke?
Die Schrift schweigt hierzu vornehm.
Ein Gegenüber, das uns nicht in Ruhe lässt – ich hatte es gesagt, ein Gegenüber, das uns unbedingt angeht – und hier geht der Allerhöchste den Awram ganz schön an.
Er lässt ihn nicht in Ruhe brüten, dösen, lässt ihn nicht in der endlosen Grübelei. Er löst seine Sorge auf, indem er Tatsachen dagegenstellt. Gott hat keine Meinung, er hat Argumente für den welt- und lebensmüden Awram.
Argumente, die er sehen kann: die Sterne sind ja auch für uns zu sehen, und was dieser antike Astronom noch nicht wissen konnte: sie sind wirklich da. Noch heute sichtbar.
Und er macht Awram auch klar, dass er zwar vieles sehen und erleben oder sich vorstellen kann, aber Verstehen ist damit noch nicht gelungen.
Awram begreift: Seine Sorge war eine uferlose, eine ohne Gegenüber, eine, die ihn verschlungen hätte, wenn nicht Gott selbst ihn herausgeholt hätte.
Eine Befreiung. Ein erster Schritt: hinausgehen, dann sich hinstellen, schließlich sehen, was ist.

VI. Finale furioso

Und das alles nicht allein. Ihr Lieben – wie geht es euch? Prüft ihr den Füllstand eures Herzens? Sucht ihr nach dem, was euch fehlt? Oder nach dem, was euch hilft, wenn ihr Sorgen habt?
Habt ihr Erfahrungen damit gemacht, dass euch jemand angeht, euch nicht in Ruhe lässt, wenn ihr zu versinken droht, in Arbeit oder Kummer oder Wut?
Habt ihr ein Gegenüber? Ich wünsche euch das sehr. – Ihr könnt es euch auch selbst wünschen, «das wünscht ich sehr, dass immer einer bei mir wär, der kommt und spricht, “fürchte dich nicht!“»
Und manchmal, da seid ihr, da sind wir ein Gegenüber für andere, manchmal, ohne es zu merken. Manchmal wollen wir anderen Gutes tun – und dann tun sie uns gut! Es gibt diese Erfahrungen, und es gibt diese ersten Schritte – aufstehen, rausgehen, hinstellen, den Kopf heben. Das ist ganz leicht. Und wir können das nachher direkt üben – denn dazu ist Gemeinde ja da. Lauter Gegenübers treffen sich. Lasst uns nicht vergessen, dass uns Jesus dazu berufen hat, dieses Gegenüber zu sein. Und uns gefallen zu lassen, dass uns jemand angeht. Nachzufragen und zu ermuntern ist keine Drohung. Sondern liebende Sorge. Er hat es uns vorgemacht. Christsein zu leben heißt als erstes: nachmachen, was uns Jesus gelehrt hat.

Um alles das zu verstehen, braucht es Zeit. Um es anzuwenden vielleicht gar nicht mal so viel Zeit.
Auch Awram brauchte noch einmal Zeit – ich kann nicht beschreiben, wie sein Verstehen sich abgespielt hat. Ich stelle es mir als eine intensive leibliche und seelische Erfahrung vor.
Und am Ende, da kam es, aus dem Himmel, von den Sternen, aus dem Gehörten und dem Verstandenen: das Vertrauen. Gott wiederholt noch einmal die Zusage – so viele Sterne, die du siehst und doch nicht zählen kannst – so wird das mit deinen Nachkommen sein! Es wird so kommen. Kannste glauben.

Und Awram glaubte dem Herrn und der rechnete es ihm als Gerechtigkeit an.

Das ist mal ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Beide Seiten, Gott und Mensch, lassen es sich etwas kosten, dass nicht die Sorge, sondern die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft ihr Sein, ihr Leben bestimmen wird.
Schon jetzt schimmert durch, dass es Gott nicht um das billige Auflösen billiger Sorgen geht. Wir sind ihm teuer. Richtig teuer. Und wenn wir ihn nicht sehen können, wenn wir traurig sind und verfangen in dem, was im Leben schwierig ist für uns, dann ist er es auch. Weil wir ihn unbedingt angehen. Und weil er unsere Gerechtigkeit sein will, indem er uns das Leben ermöglicht.
Hier bei Awram, dem Vater des Glaubens, sehen wir zu – und in Jesus Christus können wir es glauben, weil es uns selbst betrifft. Jesus zu vertrauen, ist die wichtigste Unterschrift in unserem Leben. Mit ihm schließen wir den wichtigsten Vertrag unseres Lebens. Einen Vertrag mit unendlicher Laufzeit. Im Rahmen dieses Vertrages nehmen wir in Kauf, dass er uns angeht, dass er uns stört, wann immer wir in Selbstgerechtigkeit, Wut, Trauer und Grübelei zu versinken drohen. Denn er will das Leben für uns – heute und für immer. Und dafür hat er sich selbst hingegeben und dafür schickt er uns Menschen, denen wir am Herzen liegen und die uns am Herzen liegen sollen. Und wie geht die Vertragserfüllung:

Aufstehen – Hinausgehen – Kopf heben – Sehen was ist – Vertrauen haben!

Amen!

(Predigt von Katrin Schinkel am 16. SONNTAG N. TRINITATIS :: 24.09.23:: Gen 15,1-6)