Predigt zum Lied »Shallow« – Dem Leben Tiefe geben

„Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

So spricht Gott, der Herr, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen: Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.

Ich, der Herr, das ist mein Name, ich will meine Ehre keinem andern geben noch meinen Ruhm den Götzen. Siehe, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. So verkündige ich auch Neues; ehe denn es aufgeht, lasse ich’s euch hören.“ (Jesaja 42, 1-9)

Liebe Gemeinde,

es gibt ein Lied, das mich durch dieses Jahr begleitet hat. Am Anfang habe ich einfach die Melodie gemocht, dann hat mich der Text neugierig gemacht und nicht mehr losgelassen: »Sag mir, Mädchen, bist du glücklich in dieser modernen Welt oder brauchst du mehr?« So geht das Lied »Shallow« los. Im Film »A Star is born« singen es Bradley Cooper und Lady Gaga.

Für mich ist dieses Lied ein Adventslied geworden, weil es von einer Sehnsucht spricht: »Bist du nicht müde, diese Leere zu füllen? Oder brauchst du mehr?« Als ich das Lied im Radio hörte, versuchte ich den Text zu verstehen. Manche Vokabeln habe ich nachgeschlagen. Dann dachte ich: Das ist für mich Advent. Zum Advent gehören natürlich Adventskranz, Zimtsterne, Vanillekipferl und Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Aber innerlich fängt Advent mit der Sehnsucht an ­einer tiefen Sehnsucht nach Wandel. Wer satt und mit allem zufrieden ist, der braucht keinen Advent. Adventist für Menschen, die sich ausstrecken nach einer Zukunft, die uns verwandelt. Es geht um Menschen, die sagen, ich bin nicht fertig mit dieser Welt, ich bin auch nicht fertig mit mir selbst. Es muss da einfach mehr geben.

 

Was gibt unserem Leben Tiefe?

»Bist du nicht müde, diese Leere zu füllen?« In dieser Liedzeile steckt ja drin, wie sehr wir das versuchen. Wir versuchen, uns selbst diesen Sinn zu geben: Wir arbeiten hart und ausgiebig — und dann muss das Leben doch gelingen. Wir strengen uns an und denken, damit verdienen wir uns ein gefülltes Leben mit Sinn und Glück. Dann merken wir, das geht so nicht auf. Manches erreichen wir damit, aber wir finden nicht das, was unser Leben im Kern ausmacht. Das machen wir nicht selbst, das empfangen wir.
Das Lied heißt »Shallow«, im Englischen heißt das so viel wie Untiefe, flaches Gewässer. Das Lied drückt die Sehnsucht aus, dem Leben Tiefe zu geben: Es muss doch mehr geben, als das tägliche Einerlei — sei es, dass man es im Leben geschafft hat oder noch seinen Platz sucht. So wie die beiden Menschen, die sich Film »A Star is born« finden und dann wieder drohen zu verlieren.
Im Film treffen zwei unterschiedliche Menschen aufeinander: Bradley Cooper — der für sein Alter einfach unbeschreiblich gut aussieht — spielt den etablierten Countrysänger Jackson, der in die Krise geraten ist. Er hat schon eine großartige Karriere hinter sich, aber jetzt lebt er nur noch von seiner Vergangenheit und findet nicht mehr die Kraft zum Neuen.
Er begegnet der zurückhaltenden Sängerin Ally — gespielt von der sonst so schrillen Lady Gaga. Ally jobbt und singt nebenbei in einer Eckkneipe. Sie schreibt auch Lieder, aber sie ist so schüchtern, dass sie sich nicht traut, ihre eigenen Lieder zu singen. Sie findet sich hässlich und unansehnlich. Sie meint, keiner will hören, was sie für Lieder schreibt.
Es ist ein berührender Moment im Film, als der Countrysänger der schüchternen Ally deutlich macht: »Ich will dich hören. Du hast etwas zu sagen. Du musst deine Lieder singen.«
Er sieht etwas in dieser unscheinbaren Frau, das entdeckt werden will. Dann traut sie sich, auf der Bühne ihre Lieder zu singen. Im Film ist das einfach Gänsehaut pur.
Das gibt unserem Leben Tiefe. Andere Menschen sehen etwas in uns, das wir uns nicht trauen zu zeigen. Andere wecken etwas in uns, das uns weiterbringt.

Freundschaften und Liebe

Es gehört zu unserem Leben dazu, dass wir Lebewesen sind, die in der Gemeinschaft wachsen. Kaum etwas stärkt uns mehr als Freundschaft und Liebe. Menschen, denen man etwas bedeutet, sind etwas Wunderbares. Und wenn einem solche Menschen fehlen, dann fehlt etwas Wichtiges. Eine Zeile in dem Lied »Shallow« hat mich schier umgehauen. Übersetzt heißt sie: »Ich falle — in guten Zeiten sehne ich mich nach Veränderung und in schlechten fürchte ich mich vor mir selbst.« Als ich das hörte, dachte ich »Ja, so ist das«. Ja, wir sehnen uns nach Veränderung: Es muss doch mehr geben, als das tägliche Einerlei. Und es gibt Momente, in denen man sich selber nicht mag, ja sich selbst sogar fürchtet, weil man Seiten an sich entdeckt, die einem selbst unheimlich sind. Deswegen haben Freundschaften einen solchen Wert. Freundschaft beginnt dort, wo Menschen sich einander öffnen — wie Jack und Ally im Film — sie teilen ihre Sehnsucht, stützen und stärken einander, weil sie aneinander etwas Besonderes entdeckt haben.

Weihnachten gilt ja als Fest der Liebe: Dann macht dieses Fest dazu: Beschenkt einander, mit Aufmerksamkeit, Zeit, Wertschätzung! Vor allem spart nicht damit! Seid großzügig. Ich glaube, das gibt unserem Leben Tiefe, dass wir als Menschen zusammenleben. Bleibt dabei nicht in eurer Familie, denkt an eure Freundinnen und Freunde. Sagt den Menschen, die ihr schätzt und liebt, wie sehr ihr das tut. Und haltet Ausschau nach neuen Menschen, die Eure Freundschaft brauchen. Das Entscheidende sagen wir uns nicht selbst; das Entscheidende kommt von außen, das empfangen wir.

 

Gott sieht etwas in uns

In den Versen aus Jesaja 42, die wir vorhin gehört haben, liebe ich einen Satz besonders — als der Prophet von Gott sagt:
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Gott ist einer, der Menschen aufrichtet und befreit, er lässt das Licht nicht einfach ausgehen — als würde es ihn nicht kümmern. Nein, es kümmert ihn!
Wenn du dich klein fühlst und auf der Suche danach bist, dass es im Leben doch eigentlich mehr geben müsste: Gott will das Licht in dir leuchten lassen, Leben neu anfachen.
Wir feiern Advent, weil wir glauben, dass Gott in diesem Kind zu uns kommt und uns nicht allein lässt. Das geknickte Rohr wird er aufrichten und den Docht facht er wieder an.
Advent ist eine Menschheitshoffnung, dass die Dinge sich ändern. Und die Hoffnung, die wie haben, geht von dem Kind Gottes aus, das wir miteinander erwarten.
Das ist für mich Advent, wenn Menschen zusammen feiern, um gemeinsam die Hoffnung wach zu halten, dass Gott zu uns kommt. Weil wir denken, das kann nicht alles sein, da gibt es noch mehr.
Also, das ist meine Bitte an euch: Haltet die Sehnsucht wach. Tun wir das gemeinsam. Es gibt mehr! Wie es im Lied heißt: »Bist du nicht müde, diese Leere zu füllen? Oder brauchst du mehr?«
Wir hoffen gemeinsam auf das Heil, das Gott uns schenkt. Strecken wir uns danach aus. Ein Adventslied in unserer Kirche spricht diese Sehnsucht eindrücklich aus: »Komm, du lang ersehnter Jesus. Komm und mach uns Menschen frei, von der Angst und von den Sünden, unserer Ruhe in dir sei.« Der Adventist eine Menschheitshoffnung, die wir uns nicht selber sagen können. Wir strecken uns nach ihr aus, wir singen von ihr gemeinsam: »Du bist Israels Trost und Stärke, Hoffnung für die ganze Welt, tiefe Sehnsucht aller Völker, Freude, die das Herz erhellt.«
Amen
(am 3. Advent 2019 – von Pastor Michael Putzke)

Das Lied »Shallow« auf You Tube:

https://www.youtube.com/watch?v=bo_efYhYU2A