Andacht zum Parthenon der Bücher


Ihr Lieben, in den letzten Wochen haben wir hier in Kassel in einer der schönsten Städte der Welt gelebt.
Warum?
Es war documenta Zeit!

Der Puls dieser Stadt war in diesen Wochen anders: er war schneller, lebendiger und vielfältiger. Jetzt haben wir in Kassel den „documenta Kater“, nicht nur weil das Budget so überzogen wurde, sondern weil die vielen Kunstwerke abgebaut werden und jetzt weniger Gäste nach Kassel kommen.

Auch wenn man der documenta 14 in der Presse gerne nachgesagt hat, sie sei nicht so gelungen wie andere zuvor, auch wenn ich mit manchen Kunstwerken nichts anfangen konnte… trotz alledem: der Parthenon der Bücher auf dem Friedrichsplatz im Herzen der Stadt war einfach umwerfend und inspirierend. (Siehe Foto)

Zur Erinnerung: Zur documenta 14 wurde auf dem Friedrichsplatz – also im Zentrum der Stadt – ein Gerüst aufgebaut, welches das Parthenon in Athen nachgebildet hat: 70 Meter lang, 30 Meter breit und 20 Meter hoch.
Und an dieses Gerüst wurden Bücher gehängt – eingebunden in Klarsichtfolie.

Bücher, die irgendwann einmal verboten worden waren oder es noch sind.

Der Platz war bewusst gewählt: Dieser Parthenon stand dort, wo die Nazis 1933 Bücher verbrannt hatten, weil sie als undeutsch galten. Als Zeichen dafür, dass man Gedanken nicht verbieten kann und darf.

Ich weiß noch, wie wir am Tag der Eröffnung der Documenta auf den Friedrichsplatz gegangen sind, weil wir einfach neugierig waren auf die Menschen, die Kunst und die ganze Atmosphäre. Zuerst staunten wir über die Ästhetik dieses Gebäudes: Der Giebel, die Säulen und die Bücher, die in der Sonne funkelten wie Schmucksteine.

Aber das Eigentliche passiert dann: Wie automatisch wollten wir nicht auf Distanz bleiben, sondern es zog uns hin in dieses Gebäude hinein. Ich wollte die Bücher sehen, die dort den Parthenon schmückten: Da hingen viele Bücher von Menschen; die ich aus den Nachrichten kannte: Eines von Raif Badawi, dem Blogger, der in Saudi Arabien inhaftiert ist und die Bücher von Salman Rushdi. Dann aber auch Klassiker wie Goethe, Schiller, Heinrich Heine, Bertold Brecht, Stefan Zweig. Überrascherweise auch Grimms Märchen, Gullivers Reisen, Mark Twain, Das Sakrileg von Dan Brown, Harry Potter und Karl May.

Und immer wieder auch dazwischen: Die Bibel in unterschiedlichen Ausgaben.

Den Parthenon der Bücher zu betreten war nicht nur ein ästhetischer Genuss, es war jedes Mal eine innere Auseinandersetzung: Ich lief an den Säulen entlang und schaute, welche Bücher waren dort aufgehängt.

Und gleichzeitig stand ich innerlich vor meinem Bücherregal zu Hause und überlegte: Welche Bücher habe ich nicht alle lesen können, die schon einmal verboten worden sind.

Da wurde mir schlagartig klar: Welche Freiheit dürfen wir genießen! Zu lesen, was wir wollen. Und selber dürfen wir unsere Meinungen frei aussprechen und unsern Glauben offen bekennen. Wir haben einfach viele Möglichkeiten, um die uns viele Menschen beneiden.

Während der documenta hatten wir häufig Besuch und mit einem jungen Pärchen sprachen wir darüber, welche Bücher wir am Parthenon entdeckt hatten: Zum Beispiel auch Harry Potter. Da warf die junge Frau ein, das würde sie gut verstehen, das Buch würde sie auch verbieten – aus Glaubensgründen. Ich hätte mich fast am Essen verschluckt.

Wir waren in diesem Moment erstaunt und erschrocken. Warum gibt es heute diese Neigung andere Meinungen und Bücher verbieten zu wollen? – „Das müsste jetzt verboten werden! Das dürfte nicht gesagt werden.“

Ich glaube, das ist eine Reaktion aus unserer Angst heraus. Dabei dachte ich an Paulus, der den Galatern einmal daran erinnert, die Freiheit, die wir in Christus haben nicht aus Angst auf zu geben: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Handelt nicht aus Eurer Angst heraus, sondern seht und fühlt und wagt die Freiheit, die Euch in Christus geschenkt ist.

Ein zweiter Gedanke noch…

Mir ging ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Wenn wir als Kirche, als Frauen und Männer aus der Evangelisch-methodistischen Kirche so verkündigen könnten, die dieser Parthenon der Bücher! Wenn wir so predigen könnten. Dass die Menschen in unsere Gottesdienste kommen und dann innerlich nachschauen, was in ihrem Bücherschrank ihres Lebens steht. Oder im übertragenen Sinne, welche Erfahrungen haben denn sie gemacht, was in ihrem Leben geschehen ist. Das ganze ohne Druck, in großer Freiheit, aus einer Neugier heraus.

Im Jahr der Reformation habe ich einige Male über die Gnade gepredigt, die Luther wiederentdeckt hat und aus der wir leben können. Und ich wünsche, dass Menschen aus unseren Gottesdiensten gehen, und dann zu Hause in ihrem Bücherschrank ihres Lebens schauen und dafür aufmerksam werden, wie die Gnade Gottes in ihnen gewirkt hat und es immer noch tut. Und dass sie spüren, das macht einfach den Unterschied aus.

Beim Parthenon der Bücher ist es gelungen, Menschen einzubeziehen.

Sie wurden aufgefordert, Bücher aus ihrem Bestand mitzubringen, Auf dem Friedrichsplatz standen Gitterboxen, in die man solche Bücherspenden einwerfen konnte. Dann sollten diese Bücher an den Parthenon gehängt werden. Dieses Beteiligungsmoment war großartig:

Einmal hat es dann auch geklappt… Wir wollten dabei sein, mit einem Buch: Ich hatte noch eine Bibel aus meiner Jugendzeit über, die habe ich dort eingeworfen. Vor mir stand ein Mann, der ein ganzes Regalbrett Karl May in der Box versenkte. Mit etwas Wehmut und dann auch Stolz und Freude, Teil dieses Kunstwerkes zu sein. Ich glaube, darum geht es: Teil von etwas Größerem zu werden, weil man etwas von sich zeigen kann und will. Und das geht nur, wenn wir einander Freiheit geben. Und wenn das gelingt, ist das eine Kunst.

Ich glaube, wir kennen alle solche Gottesdienste, in denen Menschen die innere Freiheit haben und sich beteiligen, sich einbringen und etwas von sich zeigen. Und dann staunen wir, was alles möglich wird. Davon gewinnen wir alle.

Amen.

(Predigt von Michael Putzke)