Predigt zu Johannes 13,21-30 am ersten Sonntag in der Passionszeit 21.2.2021 Thema: Was habe ich mit Judas zu tun?
Evangelisch-methodistische Kirche Bezirk Kassel/ Großalmerode
Liebe Gemeinde, am Gründonnerstag im Jahr 2017 habe ich an einem Straßentheaterprojekt teilgenommen. Wir waren 13 Laienschauspielerinnen und Schauspieler aus verschiedenen Gemeinden und Kirchen.
Zunächst bauten wir eine lange Tafel auf, deckten den Tisch und begannen zu essen. Plötzlich aber erstarrten wir in der Haltung des jeweiligen Jüngers, so wie sie auf dem Gemälde von da Vinci dargestellt sind. Und dann begann jede von uns einen Ton von sich zu geben.
Erst leise, dann immer lauter und lauter – bis Judas aufsprang und seinen Geldbeutel auf den Tisch knallte. (Foto privat)
Die Rollen waren zuvor per Los verteilt worden. Ich zog den Namen Andreas. Und ihr könnt es mir glauben, ich war so froh, dass nicht JUDAS auf dem Zettel stand. Judas wollte ich nicht sein. Es gibt auch andere schwierige Charaktere unter den Jüngern. Petrus zum Beispiel, der sich immer so hervortat, dann aber Jesus verleugnete und bitterlich darüber weinte. Zum Schluss aber hat er noch die Kurve gekriegt. Mit dem hätte ich mich vielleicht noch identifizieren können, aber auf keinen Fall mit Judas. Judas – das ist die eindeutig negative Figur in den Passionserzählungen. Die wollte ich nicht spielen.
Überlegt mal, welches Bild von Judas steht euch gerade vor Augen.
Judas, der Verräter. Judas, der Geldgierige, der Jesus für ein paar Silberlingen auslieferte. Oft wird er mit fettem Geldbeutel in der Hand dargestellt – Sinnbild seiner Habgier. Judas, der das Vertrauen missbrauchte, der Jesus im Garten Gethsemane küsste, damit die Häscher Jesus identifizieren und ihn jenseits der Volksmenge in Ruhe verhaften konnten. Wie abscheulich dieser Judas-Kuss.
Judas – das ist der, der mit dem Bösen im Bunde steht.
Judas, das ist der, der elendig zugrunde ging und seinem Leben aus Verzweiflung selbst ein Ende setzte.
Oder ist Judas nur der Ungeduldige, dem die friedliebende und alles ertragende Art Jesu auf die Nerven ging.
Mit seinem Verrat wollte er den Befreiungsprozess, der mit Jesus begonnen hat, nur voranbringen. Er wollte Jesus aus der Reserve locken. Jesus sollte sich endlich in aller Öffentlichkeit als der Messias offenbaren und das Reich Gottes mit aller Macht herbeiführen. Manche Filmemacher haben Judas Verrat so gedeutet und ihn entsprechend dargestellt. Biblisch lässt sich das so nicht belegen.
Eine Frage wird auch häufig gestellt: Hatte denn Judas überhaupt die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden? War er nicht als Verräter Teil des Heilsplans?
Die Wirkungsgeschichte der Judasfigur jedenfalls ist nicht unproblematisch: Judas wurde zum Schimpfwort und Judas wurde mit dem jüdischen Volk gleichgesetzt. Die Abneigung gegen Judas und christlicher Judenhass stehen in einem engen Zusammenhang. Judas wurde zum Sündenbock erklärt, auf den man alles laden konnte, was unerlöst geblieben war. Es gab den Brauch, Judas in Gestalt einer Strohpuppe im Osterfeuer zu verbrennen, an einzelnen Orten in Süddeutschland soll das immer noch der Fall sein.
Judas ist der, der Schuld hat. Judas ist der, der böse ist. Judas- das ist der andere. Das bin nicht ich, das will ich nicht sein. Judas will ich auch nicht spielen.
Doch, ihr Lieben, können wir uns Judas so vom Leibe halten? Schuldig sind die anderen?
Schauen wir noch mal in die Geschichte, wie Johannes sie erzählt: Sie spielt im innersten Kreis um Jesus. Als Jesus mit seinen Jüngern zu Tisch beim Essen sitzt und sagt: „Einer unter euch wird mich verraten.“, ist den anderen nicht klar, wer von ihnen gemeint ist. Petrus lässt über den Lieblingsjünger fragen, wer es denn sei. Dahinter steckt die tiefe Verunsicherung: Könnte ich das sein? Könnte ich mich etwa abwenden von Jesus? Könnte ich unsere Freundschaft verraten? Könnte ich schuldig werden? So sicher scheint sich da keiner der Jünger zu sein. Ich höre die Warnung: Sei dir nicht so sicher. Schuld sind nicht immer die anderen, die Fernen, die Fremden. Ich selbst könnte es sein.
Im Rückblick auf die Geschichte der DDR wird gefragt, wie war es möglich, dass der Ehemann seine Ehefrau, die Freundin den Freund an die Stasi verraten hat. Als mein Vater in seiner Stasiakte las, dass ein geschätzter Kollege und Bruder im Glauben als IM (Informeller Mitarbeiter) auf ihn angesetzt gewesen war und detailliert an die Stasi berichtet hatte, war er zutiefst enttäuscht.
Als Nichtbetroffene und Außenstehende lässt es sich leicht sagen: Wie konnten die nur? Hätte ich nie gemacht, jemanden an die Stasi zu verraten. Wenn man dann die Geschichten hört, wie Menschen da hineingeraten sind… So sicher wäre ich mir nicht. Die Stasi war geschickt, das Böse ist schlau, nutzt die Schwächen eines Menschen aus. Damit will ich nichts entschuldigen. Die Menschen sind schuldig geworden. In seinen Memoiren schreibt mein Vater, dass er auf die Entschuldigung seines Kollegen noch heute warte. Ein anderer, der ebenfalls Informationen weitergegeben hat, hat sich nach der Wende entschuldigt. Mit ihm ist mein Vater im Frieden.
Zurück an den Tisch der Jünger mit Jesus:
Jesus antwortet auf die Frage: Herr, wer ist es? mit: „Es ist der, für den ich ein Stück Brot in die Schüssel tauche und dem ich es gebe.“ Er nahm ein Stück Brot, tauchte es ein und gab es Judas, dem Sohn von Simon Iskariot.
Der Skandal des Verrates ist, dass Judas nicht irgendeiner ist, sondern er gehört zum engsten Freundeskreis Jesu. Von seiner Berufung wissen wir nichts. Aber er wird immer mit genannt bei den Zwölfen, die mit Jesus umhergezogen sind. Er hat ihm an den Lippen gehangen haben, er hat sein Leben geteilt und alle Hoffnung in ihn gesetzt. Jesus hatte mit Judas Tischgemeinschaft, er hat sein Brot mit ihm geteilt. So nah waren sie einander.
Judas- das will ich nicht sein. – Aber ich könnte es sein. Denn er war einer der Zwölf. Einer, der Jesus nachfolgte – und ihn trotzdem verraten hat.
Ein Ausleger schrieb dazu: Die Judasdarstellung im Johannesevangelium wird „zur fragenden Anrede an den jeweiligen Leser (…) Nur solche, die Jesus ganz nahestehen, können sich in der Weise des Judas von Jesus lossagen, können zu Verrätern an Jesus werden.“ (siehe Klaiber, Johannesevangelium S.84)
Er ist schwer auszuhalten der Gedanke, ich könnte Judas sein. Das Böse könnte von mir Besitz ergreifen. Es könnte mich dazu bringen, dass ich mich lossage von Jesus und seiner Sache.
Wie oft geschieht es, dass ich mich nicht so verhalte, wie ich es will und wie es Jesus entspricht? Wie oft gehe ich nicht den Weg der Nachfolge? Und dann habe ich das Gefühl, das bin gar nicht ich, da werde ich fremdbestimmt. Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. (Röm 7, 19f) Ich bin gerade zu Paulus gesprungen, der diesen Widerstreit und sein Ringen so schildert. Das Böse, die Sünde ist nicht aus der Welt. Es kann Macht über uns gelangen.
Eine der Fragen zur Aufnahme in unsere Kirche lautet: Entsagst du dem Bösen und wendest dich von der Sünde ab? Und fast jedes Mal bleiben wir beim Vorgespräch an dieser Frage hängen. Was bedeutet das konkret? Wie und wo erlebe ich das Böse heute? Wie kann ich dem entsagen? Wovon muss ich mich abwenden?
Was steht dem Leben, das Gott für uns will, entgegen?
So veraltet diese Frage auch klingt, ich halte sie für wichtig, dass wir sie uns stellen und auch bekennen, wo wir dem Bösen Raum gegeben haben und schuldig geworden sind aneinander und an Gott.
Ja, es ist wichtig und notwendig, Böses zu benennen und Schuld zu bekennen, damit wir frei werden und nicht daran ersticken. Denn dafür ist doch Christus am Kreuz gestorben ist, dass unsere Schuld vergeben ist und der böse Feind keine Macht an uns finde (Luthers Morgensegen). Amen.
Pastorin Katharina Lange