Was ist die gute Botschaft vom Gericht Gottes?
(18.11.2013 Pastor Michael Putzke)
Liebe Gemeinde, der Wochenspruch spricht heute ein schweres Thema an:
Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. (2. Kor 5,10).
Deshalb zum Lockerwerden eine passende Geschichte zum Schmunzeln.
(Aus Axel Kühner, Ein Lächeln macht die Runde, 55 heitere Episoden für fröhliche Christen, 4. Auflage Neukirchen-Vluyn 2013, Seite 10)
„In einer kleinen schwedischen Dorfkirche entdeckte man in einem alten Kirchenbuch kunstvoll verzierte Eintragungen aus dem Jahr 1795. Die säuberlich notierten Aufzeichnungen zeugen von dem gesunden Humor des Künstlers und ebenso des Küsters, der sie mit dem gewichtigen Amtssiegel versah und ordnungsgemäß wie folgt registrierte:
1. Das zweite Gebot verändert sowie die zehn Gebote lackiert, 3 Kronen.
2. Pontius Pilatus verputzt, neues Pelzwerk auf seinen Kragen gesetzt sowie ihn von allen Seiten poliert, 3 Kronen.
3. Den Himmel erweitert und verschiedene Sterne eingesetzt, das ewige Höllenfeuer verbessert und dem Teufel ein vernünftiges Gesicht aufgesetzt, 15 Kronen.
4. Die heilige Magdalena, die völlig verdorben war, erneuert, 12 Kronen.
5. Die klugen Jungfrauen gereinigt sowie sie da und dort ein wenig angestrichen, 10 Kronen.
6. Den Weg zum Himmel deutlicher markiert, 1 Krone.
7. Die Frau des Potifar lackiert sowie ihr den Hals vom Schmutz gereinigt, 5 Kronen.
8. Das Rote Meer vom Fliegenschmutz gesäubert, 2 Kronen.
9. Das Ende der Welt weiter zurückgestellt, da es viel zu nahe war, 20 Kronen.“
Liebe Gemeinde,
Die Sache mit dem Ende der Welt und dem Gericht ist so eine Sache. Der Wochenspruch für heute stößt uns mit der Nase drauf: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. (2. Kor 5,10).
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht? Aber behaglich ist mir bei dem Gedanken des Gerichtes am Ende der Zeiten nicht. Im Laufe meiner Dienstzeit sind immer wieder ältere Brüder auf mich zugekommen und haben mich gemahnt: „Sie müssen über das Gericht predigen!“ Und dabei haben sie ein strenges Gesicht aufgesetzt. Hoffnungsvoll und fröhlich wirkte das nicht. Und ich gebe gerne zu, das Gericht Gottes war nie ein Predigtthema, das ich gerne aufgegriffen habe – so ähnlich wie in dieser Schmunzelgeschichte von Axel Kühner: „Das Ende der Welt weiter zurückgestellt, da es viel zu nahe war!“ Für viele ist es ein Thema, das man eher von sich wegrückt. Und anderen ist es gerade wichtig und ein unentbehrliches Thema für die Predigt. Ich will mich heute mal an dieses Thema herantasten.
Abstand bitte! – Unser Gefühl, wenn es um das Thema „Gericht“ geht
Nun, das Wort Gericht hat ein für uns eher ein negatives Fluidum. Wenn ich an das Wort „Gericht“ denke, bin ich nicht unbedingt positiv gestimmt. Begriffe wie Gericht, Strafverfolgung, Polizei ziehen mich in der Realität nicht an. Ich lese und schaue gerne Krimis und Thriller, aber persönlich fehlt mir nichts, wenn die Kontakte mit Polizei und Gericht gering bleiben. Ich hatte bisher wenig mit der Polizei zu tun. Mit dem Gericht zum Glück gar nichts und ich muss sagen: Da mir fehlt nichts.
Es gab Zeiten, da hat die Kirche sich dieses Unbehagen auch zu Nutze gemacht. Im Mittelalter hat die Kirche mit Gerichtspredigten die Menschen eingeschüchtert. Das Gericht Gottes galt als klar und unerbittlich: „Gott ist ein Gott der Liebe, aber im Gericht muss er gerecht sein…“ Ob das stimmt werden wir noch sehen.
Auch in der Geschichte unserer Kirche gab es eine Neigung, die Angst vor dem Gericht Gottes evangelistisch auszunutzen. Und viele haben sich im Laufe der Jahre von diesem Druck frei gemacht, weil Angst nicht der Grund sein kann, dass ich glaube. Angst ist keine Quelle des Glaubens, die uns nährt. Die Botschaft des Engel Gottes ist immer: „Fürchtet Euch nicht!“
Eine Neuorientierung, wenn wir über das Gericht sprechen
In den letzten Wochen bin auf eine andere Spur geraten: Wie können wir im Angesicht des Gerichtes leben und glauben? Was ist die gute Botschaft vom Gericht? – Denn das Gericht ist ja aus der Bibel nicht wegzudenken. So gleich am Anfang der Bibel bei der Vertreibung aus dem Paradies bis ins Neue Testament.
Wir brauchen eine Neuorientierung, wenn wir über das Gericht sprechen. Und für mich steckt sie in dem Grundsatz: Das Gottes Liebe nie aufhört – auch im Gericht nicht. Der Satz „Gott ist ein Gott der Liebe, aber er muss auch gerecht sein“ ist ein falscher Gegensatz. Wenn jemand so spricht: „Gott muss ja auch gerecht sein, dann gehen mir Ampeln auf rot.“
Einige Grundlinien zum Gericht Gottes in der Bibel
Erstens: Gott ist Liebe – von Anbeginn der Schöpfung bis ins Gericht: Nie ist seine Liebe geschmälert oder eingeschränkt. Nie müssen wir diesen Satz zurücknehmen: Gott ist Liebe – auch im Gericht.
Und zweitens: Es gibt auch in der Bibel die Hoffnung auf das Gericht Gottes. Es wäre schlimm wenn es das Gericht Gottes nicht gäbe!
Und drittens: Gericht hat in der Bibel nichts mit Strafe zu tun.
Gericht in der Bibel fühlt sich anders an
So waren die Richter in der Bibel nicht Instanzen, die zu fürchten gewesen wären. Es gibt ja im Alten Testament ein Buch der Richter: Was war ihre Funktion? Vor dem Königtum waren es des die sogenannten Richter, die das Volk Israel befreiten. Wenn es in der Klemme steckte, da schrie es zu Gott, und der sandte einen Richter, der es raus haute. Ein Richter ist einer, der die Not wendet.
Und immer wieder wird Gott als Richter beschrieben: Gott ist ein Richter der Witwen und Waisen! – also einer, der den zu ihrem Recht verhilft, die nicht für sich selbst sprechen können.
Wir denken heute einer anderen Rechtstradition: Es gibt einen Ankläger, die Verteidiger und den Richter. Und der Richter setzt die Strafe fest – gerecht und neutral. In der Bibel ist der Richter aber der Verteidiger derer, denen das Recht vorenthalten wird. Er ist nicht neutral.
Das Gericht Gottes als Hoffnung
Das Gericht ist eine Hoffnung für alle, denen Unrecht widerfahren ist. Zu unserem Glauben gehört die Zusage Gottes, dass er das Leid der Menschen sieht. Dass keine Träne unbeachtet bleibt. Die Seligpreisungen geben uns diese Zusagen.
Selig sind die da Leid tragen, sie sollen getröstet werden. Dieser Ausdruck „selig sind“, heißt genau übersetzt: „zu beglückwünschen sind“. Die ersten vier Verse in den Seligpreisungen zeigen uns Menschen, die unfreiwillig in eine dramatische Lage gekommen sind. Was Luther mit den „Sanftmütigen“ übersetzt, sind genauer gefasst die Machtlosen, die sich angesichts der Übermacht der anderen nicht wehren können. Menschen, die der Willkür anderer ausgesetzt sind.
Wer sieht die Leidenden und Machtlosen?
Liebe Gemeinde,
in den Herbstferien haben wir als Familie in Leipzig eine Ausstellung über die Völkerschlacht in Leipzig besucht. Im Oktober vor 200 Jahren tobte um Leipzig herum die größte Schlacht, die es bis dahin gegeben hatte.
In einem alten Gasometer war ein riesiges Rundgemälde aus gestellt – 35 Meter hoch, über hundert Meter lang. Steht man auf der 15 Meter hohen Plattform hat man den Blick auf die Wirren der Völkerschlacht, die damals über Leipzig hereinbrachen. Man kam sich vor wie ein Augenzeuge, der sich auf dem zerschossenen Dach der Thomaskirche befindet: Im Westen sieht man die in Panik fliehenden Truppen Napoleons, in den Straßen herrscht ein heilloses Durcheinander um abziehende Franzosen, einziehende Alliierte, verletzte Soldaten in offenen Lazaretten, Tote und die umherirrenden Gestrandeten und Notleidenden aus dem Umland von Leipzig.
Die Stadt zählte damals 35.000 Einwohner. An der Schlacht waren insgesamt 600.000 Soldaten beteiligt. Man schätzt, dass nach der Schlacht 90.000 Tote und Verletzte in der Stadt zurückblieben.
Wie viel Leid haben Menschen einander zugefügt? Wie viel Menschen wurden aus den Häusern vertrieben, wie viele Häuser und Höfe geplündert, Frauen vergewaltigt, wie viel Menschen wurden erschlagen. Wie viele wurden einfach verscharrt…
Es gibt auch eine Hoffnung des Gerichts. Niemand ist vergessen – gerade heute am Volkstrauertag denken wir an diese dunkeln Seiten unserer Geschichte.
Die Zusage Gottes steht: Gott sieht die Leidenden, die Machtlosen. Einmal werden sie die Erde besitzen. Gott gibt ihren ihre Ehre zurück. Diese Hoffnung sollten wir nicht aufgeben. Die Täter kommen nicht davon. Dieses Gericht ist unsere Hoffnung.
Gericht hat in der Bibel nichts mit Strafe zu tun!
Dass das Gericht eine Hoffnung ist, taucht auch in einem Bild für Gericht auf, das sich mehrfach in der Bibel wiederfindet: Die Ernte. Die Erntezeit an sich doch eine ganz fröhliche Zeit, die Ernte wird eingebracht und die Scheunen gefüllt. Das wird gefeiert. Und doch ist es auch ein Bild für das Gericht. Gerade an dieser Stelle merkt man, dass Gericht in der Bibel nichts mit Strafe zu tun hat. Strafe, wie wir sie verstehen – im Sinne einer Sanktion: Wer wegen mehrfachen Diebstahls überführt wird, muss eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren absitzen. Das ist eine Sanktion. Eine schlechte Tat wird mit einer Zeitdauer verknüpft, in der man im Gefängnis einsitzen muss.
Die Bibel kennt diese Art der Strafe nicht. Sie konfrontiert uns mit der Tatfolge: Paulus sagt, was der Mensch sät, das wird er ernten. Das ist ein anderes Denken.
Das spielt zum Beispiel in der Erziehung eine Rolle. Wenn einer meiner Jungs bei dem kalten Novemberwetter rausgeht ohne eine Jacke anzuziehen, kann ich sagen: „Du ziehst jetzt eine Jacke an, sonst gibt es heute kein Fernsehen oder kein Internet“ – das wäre eine Sanktion. Oder ich sage: „Wenn Du ohne Jacke rausgehst, ziehst du dir eine Erkältung oder gar eine Grippe zu. Dann wird es nichts leider mit der Übernachtung bei deinem Freund.“ Das wäre die Tatfolge.
Liebe Gemeinde,
die Bibel kennt keinen strafenden Gott, der Sanktionen verhängt. Der Gott der Bibel konfrontiert uns mit unseren Taten. Was wir in unserem Handeln aussäen, das werden wir ernten.
In der Geschichte von Adam und Eva taucht das schon auf – nach dem Sündenfall schämen sich Adam und Eva und sie verstecken sich vor Gott. Sie haben nicht mehr die Freiheit voreinander unbefangen zu sein und sie fürchten sich vor Gott. Sie verstecken sich, sie haben Angst. Das ist eine Tatfolge, sie nehmen im Grunde genommen die Vertreibung aus dem Paradies schon vorweg.
Ernst ist das Gericht Gottes immer noch, aber der Ernst sitzt an einer anderen Stelle. Der Gott der Bibel ist kein Gott, der einen himmlischen Wutanfall bekommt und uns straft. Unser Gott ist ein Gott der Liebe. Er nimmt unser Leben ernst und konfrontiert uns mit unserem Leben und Handeln, denn es ist nicht egal, wie wir leben. Es zählt, ob wir lernen, barmherzig zu sein, ob wir lernen zu lieben. Oder ob wir bitter und kaltherzig leben…
Wir werden alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, so heißt es im Wochenspruch – aber das Gute ist es – Jesus als Richter ist immer noch der, der uns liebt, uns aus der Not heraushilft. Es ist immer noch die Liebe Gottes, die uns in ihm begegnet.
Amen
(Wesentliche Teile dieser Predigt beziehen sich auf einen Vortrag von Professor Siegfried Zimmer aus Ludwigsburg.)